8. April 2010
«Game over - Kein Heimspiel für Nazis» - Erfolgreiche Demonstration in Brandis
Diskriminierung im Fußball
«Nie wieder Brandis!»
Von news.de-Redakteur Ullrich Kroemer, Brandis/Beucha
Vor einem halben Jahr wurden Anhänger und Spieler des antifaschistischen Leipziger Fußballklubs Roter Stern Leipzig beim Auswärtsspiel in Brandis von etwa 50 Neonazis brutal attackiert. Beim Wiederholungsspiel demonstrierten etwa 500 Menschen gegen rechte Gewalt. News.de war dabei.
Als der Demonstrationszug an seinem Ziel, dem Sportplatz der Freundschaft der sächsischen Kleinstadt Brandis, anlangt, wird es ganz still unter den Teilnehmern. Noch immer fassungslos schauen viele der Demonstranten auf das leere Rund. Etwa 500 Anhänger des antifaschistischen Leipziger Fußballklubs Roter Stern sind am Mittwoch hierher gekommen, um inne zu halten und gegen das zu protestieren, was einigen von ihnen vor einem knappen halben Jahr in Brandis widerfahren war und was es im Amateurfußball in dieser Form zuvor noch nie gegeben hatte.
Am Dahlienweg, der Heimstätte des Bezirksklasseklubs FSV 1921 Brandis, hatten sich sich am 24. Oktober vergangenen Jahres kurz nach dem Anpfiff etwa 50 Neonazis Zutritt zum Vereinsgelände verschafft. Bewaffnet mit Eisenstangen und Zaunslatten waren sie in Richtung der mitgereisten Fans von Roter Stern gestürmt und hatten Anhänger und Spieler massiv angegriffen. Wie die Ermittlungen der Polizei später ergaben, waren rechte Hooligans, Freefighter und bekannte Neonazis unter den Tätern. Die völlig überforderten Beamten ließen die Neonazis nach der Attacke zunächst ungehindert abziehen. Die Attacke machte bundesweit Schlagzeilen. Zwei der Täter wurden bereits verurteilt, 35 Ermittlungsverfahren sind eingeleitet.
Neuansetzung des Spiels wurde als Affront aufgefasst
Drei der damals ins etwa 20 Kilometer von Leipzig entfernte Brandis mitgereisten Fans wurden schwer verletzt. Ein Langzeitverletzter bangt noch heute um sein Augenlicht. Dutzende Spieler und Fans haben psychisch mit den Folgen des brutalen Überfalls zu kämpfen.
Weil das Spiel im Oktober nach zwei Minuten abgebrochen wurde, setzte der Leipziger Fußballverband das Spiel zum Unmut von Roter Stern neu an. Um die Partie am Grünen Tisch entscheiden zu können, habe es zu wenig Beweise gegeben, dass die Umstände des Überfalls dem FSV Brandis angelastet werden könnten, hieß es in der Begründung des Verbandsgerichts. Nun nahmen Mitglieder und Anhänger von Roter Stern sowie der Antifa die Begegnung, die ins zwei Kilometer von Brandis entfernte Beucha verlegt wurde, zum Anlass, um vor dem Spiel gegen Diskriminierung und rechte Gewalt im Fußball zu demonstrieren.
Demonstration gegen Diskriminierung
«Game over - Kein Heimspiel für Nazis» steht auf einem großen Banner an der Spitze des Demonstrationszuges. Zuvor hatte Roter Stern erklärt: «Wir werden den Nazis das Spielfeld nicht überlassen!» Mit fünf Bussen sind die Teilnehmer zu der Protestaktion aus Leipzig gekommen. Auch aus Brandis und dem Leipziger Land, einem Sammelbecken für Neonazis, sind einige gekommen.
«Die Entscheidung, an dem Spiel teilzunehmen, haben zunächst die Spieler für sich getroffen», sagt Monika Lazar. Die frühere Spielerin von Roter Stern ist Bundestagsabgeordnete der Grünen, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus und hat die Demonstration angemeldet. «Wenn das Spiel stattfindet, war klar», sagt sie, «dass wir das mit einer Demo gegen Rechtsextremismus begleiten - bewusst in Brandis.»
Brandis in Angst: «geschürt, herbeigeredet, teils berechtigt»
Die Bewohner des knapp 10.000 Einwohner zählenden Städtchens haben sich größtenteils hinter den Toren ihrer Häuser verbarrikadiert. Verstört, teilweise kopfschüttelnd beobachten sie die Protestaktion. «Die Leute haben Angst, herbeigeredet, geschürt, teils berechtigt», sagt Ulrich Gäbel, der sich als Fraktionssprecher der Linkspartei im Brandiser Stadtrat für die Demo stark gemacht hat und an der Demo teilnimmt. «Auch ich hoffe, dass nichts passiert.» Noch am Tag vor dem Wiederholungsspiel hatten rechte Organisationen entlang der Demonstrationsstrecke Flugblätter verteilt und vor dem Protest des linken Klubs gewarnt. Doch auch, als der Zug am Brandiser Marktplatz ankommt, wo sich rechte Jugendliche 2003 eine Straßenschlacht mit der Polizei lieferten, bleibt alles ruhig.
«Wir sind ein politischer Verein, wir thematisieren Diskriminierung», hallt es aus den Lautsprechern über den Brandiser Marktplatz. Und: «Es kann nicht sein, dass bei jedem Spiel von Roter Stern eine Hundertschaft Polizisten notwendig ist, um uns in faschistischen Dörfern zu schützen.»
Als die Demo-Teilnehmer auf dem Beuchaer Sportplatz ankommen, ist schon eine halbe Stunde gespielt. Gerade rechtzeitig fällt das 1:0 für Roter Stern, doch Fußball ist an diesem Abend nur Nebensache. Zwei Spieler, die gegen ein Wiederholungsspiel gestimmt haben, sind nicht mit nach Beucha gekommen. Für RSL-Anhänger Oliver, der seinen wirklichen Namen aus Angst vor weiteren Repressalien nicht im Internet lesen will, ist es das erste Auswärtsspiel seit dem Überfall vor einem halben Jahr. Er wurde damals von den Neonazis niedergeschlagen, erlitt zwar keine gefährlichen körperlichen Verletzungen, hat aber bis heute psychische Probleme wegen der Attacke. «Ich brauchte nach Brandis die Zeit für mich, mit der Geschichte klarzukommen», sagt er. Erst am Morgen entschied er sich dafür, «in Brandis aus dem Bus zu steigen und bei der Demo mitzugehen».
Linkspartei-Mitglied Gäbel, der eine Buchhandlung im Ort führt und den FSV 1921 als Sponsor unterstützt, steht ebenfalls im Fanbereich von Roter Stern und diskutiert mit Fans. «Der FSV Brandis hat ein bissel versagt. Es gibt ein rechtes Problem im Verein», sagt er. So kandidierte beispielsweise Pierre Woidschützke, Betreuer der Brandiser A-Jugend, bei den Kommunalwahlen 2009 für die NPD. Ein anderer NPD-Kandidat soll den Verein inzwischen verlassen haben.
«Was kann man tun als Stadt?»
Gäbel fragt sich nun: «Was kann man tun als Stadt?» und ist derzeit im Stadtrat dabei, ein Konzept aufzubauen, um Jugendliche vor der Vereinnahmung durch rechte Organisationen und Ideologien zu schützen. Vom Verein bekommt er dabei keine Unterstützung. Es herrsche derzeit Funkstille zwischen ihm und den Verantwortlichen des FSV.
Günter Kögler, der Präsident des FSV, steht auf der Gegengeraden in der Nähe der Trainerbänke und hört, wie die RSL-Fans «Nie wieder Brandis!» skandieren. Er sei froh, sagt er kurz vor Spielende, «dass alles so friedlich über die Bühne gegangen ist». Kögler war am 24. Oktober selbst Ordner und sei von den rechten Gewalttätern weggestoßen worden. «Das war eine Katastrophe, die sich hoffentlich nie wiederholt», sagt er.
Der 59-Jährige ist seit 50 Jahren als Spieler sowie Verantwortlicher im Klub und will von einer rechten Ideologie nichts wissen: «Wir müssen uns nichts vorwerfen. Bei uns tummeln sich keine Rechtsradikalen.» Diesbezügliche Vorwürfe seien «unfair und unbegründet»; von NPD-Mitgliedern in seinem Verein sei ihm nichts bekannt. Zur vorgeworfenen mangelnden Kooperationsbereitschaft bei der Aufarbeitung der Vorfälle sagt er nur: «Wir stellen uns nicht quer.»
Kultur des Wegschauens
Grünen-Abgeordnete Monika Lazar hat bei ländlichen Vereinen wie dem FSV Brandis eine Kultur des Wegschauens ausgemacht: «Im Verein ist die Sensibilität nicht vorhanden. ‹Bei uns kann jeder machen, was er will›, heißt es oft.» Speziell für den FSV Brandis wünscht sie sich, dass jetzt ein Lernprozess einsetzt. «Es kann nicht sein, dass ein Fußballverein wie Roter Stern hier nicht spielen kann», sagt sie. «Ich hoffe, dass das auch der FSV Brandis eingesehen hat.»
Ein Großteil der Zuschauereinnahmen, das hat der FSV Brandis zugesichert, sollen den Opfern des Anschlags zukommen - zumindest ein Anfang bei der Aufarbeitung der Ereignisse des vergangenen Oktobers. Die Wiederholungspartie am Mittwochabend endete übrigens 2:0 für die Gäste aus Leipzig. Doch wie bereits erwähnt: Das interessierte an diesem Abend nur die wenigsten.
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