28. Oktober 2006
Alle Jahre wieder...
Alle Jahre wieder...
...kommt nicht nur der Weihnachtsmann, sondern auch der Vorwurf gegenüber dem Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. (NDK), dem Ruf Wurzens zu schaden. Eigentlich ist der
Sachverhalt ja ganz einfach: Wurzen hat ein Problem mit Rechtsextremismus. Das lässt sich an objektiven Kriterien ablesen wie der Tatsache, dass die NPD bei der Kommunalwahl 2004 11,5% der Stimmen erhielt und deshalb mit drei Vertretern im Wurzener Stadtrat sitzt. Es lässt sich weiterhin an der Tatsache ablesen, dass mit Front Records einer der größten rechtsextremen Versandhandel in Wurzen ansässig ist, dessen Inhaber darüber hinaus auch in unscheinbar anmutenden Unternehmen mit engagiert oder deren Eigentümer ist. Dazu gehören ein Sonnenstudio, ein Tattoo- und Piercing-Studio, eine Druckerei, ein Textilhandel und seit kurzem auch eine Videothek.
Uneigentlich wird die Sache schwierig. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus bedeutet für das NDK, dass als erster Schritt das Problem offen angesprochen werden muss. Seit Jahren ist dabei das gleiche Phänomen zu beobachten. Nicht Rechtsextremismus wird von zahlreichen Vertretern der Stadt, allen voran dem Oberbürgermeister, als Problem wahr genommen, sondern dessen Thematisierung.
Die jüngste Auflage dieses Possenspiels folgte nach der Ausstrahlung eines Fernsehbeitrages über das NDK in der MDR-Sendung „hier ab vier“. In diesem hatte ein NDK-Mitarbeiter die Situation in Wurzen geschildert und die Untätigkeit insbesondere des Oberbürgermeisters im Umgang mit Rechtsextremismus kritisiert. Was folgte, war die Forderung eines Bürgers im Stadtrat, das NDK zu verbieten, die vom Oberbürgermeister nicht etwa zurück gewiesen, sondern inhaltlich faktisch unterstützt wurde. Einer daraufhin ausgesprochenen Einladung des NDK an die Vertreter der demokratischen Stadtratparteien, den Oberbürgermeister und einige andere Vertreter der Stadtverwaltung, um über das Problem zu diskutieren, folgten gerade einmal drei Stadträte. Die schärfsten Kritiker glänzten dabei durch Abwesenheit. Der Fernsehbeitrag diente dann auch als Diskussionsgrundlage in einer weiteren Stadtratsitzung. Der Tagesordnungspunkt hieß jedoch nicht etwa „Rechtsextremismus in Wurzen“, sondern etwas nebulös „Die aktuelle Situation in Wurzen aus polizeilicher Sicht“. Auch hier keine deutlichen Worte des Oberbürgermeisters gegen Rechtsextremismus, sondern subtile Angriffe gegen das NDK. Die Diskussion lief am größten Teil der Stadträte ohnehin vorbei und verdeutlichte wie gering der Wissensstand zum Thema Rechtsextremismus ist, obwohl seit mittlerweile sieben Jahren Vertreter der NPD im Stadtrat sitzen. Die war dann auch lachender Dritter, indem sie das maßgeblich vom Oberbürgermeister bestellte Feld nicht nur im Wurzener Stadtrat aberntete, sondern deren Landtagsfraktion auch zwei Kleine Anfragen stellte, in denen sie in neun Einzelfragen, detaillierte Auskunft über die Arbeit des NDK von der Sächsischen Staatsregierung verlangt.
Der geschilderte Sachverhalt ist ein Paradebeispiel dafür, dass Rechtsextremisten nicht abseits der übrigen Gesellschaft agieren, sondern – zum Positiven wie zum Negativen – ihren Aktionsraum maßgeblich durch das gesellschaftliche Umfeld gesteckt bekommen. Umso wichtiger waren in den letzten Wochen für das NDK die positiven Signale, die es im Zuge der Auseinandersetzung auch gab. Dazu gehört, dass aus allen Fraktionen der demokratischen Parteien im Wurzener Stadtrat einzelne Vertreter entweder deutliche Positionierungen zu Gunsten des NDK abgegeben haben, oder sich zumindest auf eine sachliche inhaltliche Diskussion eingelassen haben. Bleibt zu hoffen, dass diese Beispiele Schule machen und zur Selbstverständlichkeit im Wurzener politischen Alltag werden. Ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Demokratie hier vor Ort wäre damit getan.
Miro Jennerjahn
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