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16. August 2005

Buchtipp: "Moderne Nazis" von Toralf Staud

"Faschisierung der ostdeutschen Provinz" Toralf Staud erzählt vom Comeback der NPD und warnt vor modernen Nazis Von Frank Schubert 2004 war ein gutes Jahr für die NPD. Im September zogen die Rechtsextremen mit zwölf Abgeordneten in den sächsischen Landtag ein. Von diesem Erfolg war die Partei so berauscht, dass sie beinahe ihren 40-jährigen „Geburtstag“ vergessen hätte. Am 29. November 1964 hatten Vertreter verschiedener kleiner rechter Parteien in Hannover die Nationaldemokratische Partei Deutschlands gegründet. Zwischen 1966 und 1969 zog die neue Partei in sieben Landtage ein, versank danach aber für Jahrzehnte in der Bedeutungslosigkeit. Jetzt ist sie wieder da und gefährlicher denn je. „Die NPD ist die älteste rechtsextreme Partei Deutschlands, aber auch die modernste“, schreibt der Journalist Toralf Staud in „Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD“. Wer wissen will, wie der Partei ihr beispielsloses Comeback gelang und wie man darauf reagieren sollte, kommt an diesem klugen und trotz wissenschaftlicher Fundierung gut lesbaren Buch nicht vorbei. Staud ärgert sich darüber, dass die NPD weiter unterschätzt wird. Aufregung herrsche immer nur für kurze Zeit, wenn sie bei Wahlen mehr als fünf Prozent der Stimmen erhält oder mit gezielten Provokationen Eklats produziert. Hoffnungen auf einen Einzug in den Bundestag kann sich die NPD zwar nicht machen. Dafür arbeitet sie jedoch erfolgreich und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt an einer „Faschisierung der ostdeutschen Provinz“. In Teilen der neuen Bundesländer prägt die NPD bereits heute das Denken der Bevölkerung, schreibt der Autor. Wer nicht ihrem völkischen Weltbild entspricht, muss sehr tapfer sein – oder gehen. Grundrechte und bürgerliche Freiheiten gelten nur noch eingeschränkt. Der gebürtige Salzwedeler Staud (Jg. 1972) hat die Entwicklung der extremen Rechten in den neuen Bundesländern als Redakteur der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ über Jahre hinweg intensiv verfolgt. Dort veröffentlichte Porträts und Reportagen dienen zur Illustration seiner Thesen. So schildert er in einem Kapitel über Wurzen das Lebensgefühl in einer Stadt, die von Rechtsextremisten bereits vor Jahren zu einer „national befreiten Zone“ erklärt wurde. Gleichzeitig widmet sich Staud intensiv der Geschichte und ideologischen Entwicklung der NPD. Die ursprünglich streng konservativ-antikommunistisch ausgerichtete Partei nahm Ende der 70er Jahre die Ideen der so genannten Neuen Rechten auf und freundete sich mit dem Konzept eines völkischen Sozialismus an. Damit war in der alten BRD zwar kein Blumentopf zu gewinnen – aber eine Voraussetzung für den späteren Erfolg in den neuen Bundesländern gelegt. Bei einem Teil der hiesigen Bevölkerung kommen sozialistische Rhetorik und autoritäre Politik nach wie vor gut an. Zudem sind demokratische Insti-tutionen wie Parteien, Gewerkschaften und Kirchen, die als Gegenkraft dienen könnten, nur schwach entwickelt. Bereits kurz nach dem Fall der Mauer versuchte die NPD, in der ehemaligen DDR Fuß zu fassen, und verteilte etwa auf den Leipziger Montagsdemos Werbematerial. Zunächst fanden hier jedoch radikalere Gruppen wie die Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) von Michael Kühnen, die Freiheitliche Arbeiterpartei (FAP) und die Nationalistischen Front (NF) größeren Anklang. Sie erkannten früher als die NPD das Potenzial der in den letzten Jahren der DDR herangewachsenen rechten Jugendsubkultur. Mitte der 90er Jahre wurden viele dieser rechtsextremen Splittergruppen verboten. Im Gegenzug öffnete sich die NPD unter ihrem neuen Vorsitzenden Udo Voigt schrittweise für militante Neonazis und rechte Skinheads. Heute hat sie mit 37 Jahren den niedrigsten Altersdurchschnitt aller Parteien. Ihre traditionelle Abneigung gegen Popmusik und andere Ausflüsse der „amerikanischen Unkultur“ hat die NPD inzwischen abgelegt. Rechtsrock-Aktivisten wie Thorsten Heise und Jens Pühse sitzen im Bundesvorstand der Partei. Die NPD fördert diese nicht mehr nur auf Skinheads beschränkte Szene und profitiert über ihren „Deutsche Stimme“-Versand auch finanziell vom Boom der rechten Jugendkultur. Staud verschweigt nicht, dass es auch in den alten Bundesländern weiterhin lokale Hochburgen der NPD gibt, etwa in Hessen und Baden-Württemberg. Interessanterweise gleichen diese Gemeinden dem Osten jedoch in einigen wichtigen Punkten. Sie sind protestantisch und später weitgehend säkularisiert, es gibt nur eine schwache Sozialdemokratie, die lokale Identität ist von einer Grenzlage in einer übergeordneten territorialen Einheit geprägt, und der wirtschaftliche Strukturwandel verlief problematisch. Anders als in Ostdeutschland gelang der NPD hier jedoch nie eine Expansion ins Umland. Die Parteiaktivisten stehen isoliert am Rand der Gesellschaft. In der Sächsischen Schweiz und anderen ostdeutschen Gebieten bestimmen dagegen Handwerker, Ärzte und Unternehmer das Bild der Partei, sie steht in der Mitte der Gesellschaft. Trotzdem müssen die Mitglieder und Funktionäre der NPD ausgegrenzt werden, fordert Staud am Ende des Buches in einer „kleinen Gebrauchsanleitung für den Umgang mit der NPD“. Sie sei keine normale demokratische Partei, ihre Abgeordneten keine gleichberechtigten Partner in der politischen Auseinandersetzung. Sie solten aber korrekt behandelt und mit Argumenten widerlegt statt mit Verboten bedroht werden. Nötig sei außerdem die Vermittlung von demokratischen Werten, die Förderung von alternativen Jugendkulturen und Initiativen gegen Rechtsextremismus. Toralf Staud: Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, 232 S., 8,90 Euro.

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