28. Juli 2009
NPD Mehrheitsbeschafferin bei Bürgermeisterwahl?
Gewählter Bürgermeister Lehne lehnt Vertrauensfrage zur demokratischen Legitimation ab
Wurzen, 28.07.2009: Ein Zeichen der besonderen Art geht am 1.August, bei der Amtseinführung des Bürgermeisters/Beigeordneten Gerald Lehne, von Wurzen aus. Trotz einer Vereinbarung zwischen den Stadtratsfraktionen der SPD und der CDU, alle Entscheidungen so vorzubesprechen, dass eine demokratische Mehrheit jenseits der NPD gesichert wird, ist diese Absprache vor der Wahl des Bürgermeisters/Beigeordneten am 6.5.2009 unterblieben. Es wurde zugelassen, dass die NPD als „Zünglein an der Waage“ auftreten konnte. Nun macht sich die NPD, die bei der Stadtratssitzung am 6.5.2009 mit zwei Abgeordneten vertreten war, diesen Sachverhalt zu Nutze und behauptet folgerichtig, dass der Bürgermeister durch ihre beiden Stimmen die Mehrheit erlangt hat (Pressemittelung der NPD Landkreis Leipzig vom 9.5.2009).
Im Vorfeld der Wahl wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass offenbar kein Kandidat über ausreichend Stimmen aus den drei demokratischen Fraktionen (CDU, SPD und Die Linke) verfügt. Dennoch wurde die Wahl durchgesetzt. Trotz der Gefahr, dass eine Mehrheit möglicherweise nur mit den Stimmen einer antidemokratischen Partei zustande kommt.
Der gewählte Bürgermeister Gerald Lehne ist nun aufgefordert worden, diesen Mangel durch die Vertrauensfrage, die er dem neuen Stadtrat stellen könnte, zu beheben. Dies wurde bisher von ihm abgelehnt.
Dazu meint Stephan Meister vom Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. in Wurzen: „Durch das Versagen der Stadtratsfraktionen sich im Vorfeld zu einigen oder die Wahl abzusetzen und dem untragbaren Verhalten des gewählten Bürgermeisters Lehne, sich sein Amt nichtim Nachhinein durch die Vertrauensfrage legitimieren zu lassen, erreicht die NPD das gesetzte Ziel ihrer Wahlperiode, als vollwertiger Partner im Parlament anerkannt zu werden. Die Fraktionen und der Gewählte müssen die Verantwortung übernehmen und den Mangel beheben. Wenn Herr Lehne keine Vertrauensfrage stellen will, gehört er abgewählt, um weiteren Schaden von der Stadt Wurzen abzuwenden!“
Zum tieferen Verständnis der Ereignisse hier die genauen Fakten:
- Vor der Wahl des Beigeordneten/Bürgermeisters am 6.5.2009 hat der Oberbürgermeister Röglin allen demokratischen Fraktionen seine Einschätzung der Bewerber in einem Bewertungspapier zur Kenntnis gegeben und mit den drei Fraktionen ein Treffen abgehalten. Dabei wurden von der SPD und Die Linke klar zum Ausdruck gebracht, dass man der Einschätzung des OBM, einen anderen Bewerber zu wählen, folgen will (Zeugnis Jörg Röglin). Damit war im Vorfeld der Abstimmung klar, dass es keine demokratische Mehrheit für den Bewerber Lehne geben würde.
- Versuche von Gerald Lehne, eine Stimme aus der SPD-Fraktion zu bekommen sind gelaufen und vermutlich auch fruchtbar gewesen, jedoch hatte er gleichzeitig und wissentlich nicht alle CDU-Stimmen für sich (Zeugnis eines Stadtrates).
- Da am Beginn der Legislatur dieses Stadtrates (2004 gewählt) ein Haushaltsbeschluss nur durch eine Mehrheit der Stimmen von CDU und NPD zustande kam und dies landesweit große Empörung, auch in der CDU, hervorrief, wurde zwischen SPD und CDU für den Rest der Legislatur eine Vereinbarung getroffen, auf dessen Grundlage Abstimmungen immer eine demokratische Mehrheit erhalten sollten.
Auszug aus der gemeinsamen Vereinbarung: „Die Fraktionen von CDU und SPD verfügen über eine stabile Mehrheit im Stadtrat. Diese Mehrheiten gilt es vor jeder Beschlussfassung des Stadtrates abzusichern. Eine Beschlussfassung, die eine Mehrheit nur mit den Stimmen der NPD ermöglichen würde, ist auszuschließen.“
Diese Vereinbarung hatte bis 6.5.2009 Bestand und wurde auch nicht aufgekündigt. - Nach diesem Prinzip hätte im Fall der Beigeordnetenwahl auch angestanden, sich im Vorfeld zu einigen und nicht der NPD die Chance der Mehrheitsbeschaffung zu geben. Darauf wurde von Seiten der CDU-Fraktion offenbar verzichtet.
Das heißt in der Konsequenz: Ein Bewerber braucht im Wurzener Stadtrat, um seine Wahl anzunehmen, eine eigene Mehrheit, ohne die NPD – also de facto 17+3 Stimmen, wenn alle 31 stimmberechtigte Stadträte und eine OBM-Stimme anwesend wären.
Zur Verdeutlichung des Problems und als Beispiel: Bei entsprechender Konstellation bei der Bundespräsidentenwahl am 23.5.2009 wurde darauf hingewiesen, dass bei einer Mehrheitsbeschaffung nur durch die vier Stimmen, die der extremen Rechten zugerechnet werden können, eine Annahme des Votums nicht erfolgt wäre und in einem weiteren Wahlgang die SPD-Bewerberin zurückgezogen worden wäre.
- Bei der Sitzung am 6.5.2009 ist der Kandidat Lehne von einem der anwesenden NPD-Stadträte gefragt worden, was er im Falle der Mehrheitsbeschaffung durch die NPD machen würde. Er antwortete sinngemäß, dass es sich ja um eine geheime Wahl handelt. Weiterhin warnte er vor einer öffentlichen Thematisierung des Abstimmungsprozesses.
Daraufhin fand der erste Wahlgang statt. Von 30 anwesenden Stadträten und der einen Stimme des OBM erhielt Herr Lehne nur 16 Stimmen. Das heißt, zwei Stimmen zu wenig, um sich als demokratisch legitimiert betrachten zu dürfen. 18 Stimmen wären notwendig gewesen, um eine Mehrheit, die durch NPD-Stimmen zustande kommt, definitiv auszuschließen. - Nach der Wahl geschah dann das, was zu erwarten war: Die NPD veröffentlichte auf ihrer Homepage, dass der Bürgermeister von Wurzen dank ihrer Stimmen gewählt worden sei.