8. Oktober 2006
Vierte Muldental-Lounge zum Thema Antidiskriminierung
AGG, ADG und ADB beim NDK
Rückblick auf die vierte Muldental-Lounge zum Thema Antidiskriminierung
Ganz korrekt heißt es „Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung der
Gleichbehandlung“, in der Öffentlichkeit kennt man es eher unter dem Namen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Nach rund sechsjähriger Debatte ist dieses Regelwerk, das zwischendurch auch mal Antidiskrimierungsgesetz (ADG) heißen sollte, am 18. August 2006 in Kraft getreten. Am Donnerstagabend stand es im Mittelpunkt der vierten „Muldental-Lounge“ des Netzwerks für Demokratische Kultur e.V. (NDK) im Kultur- und BürgerInnenzentrum D5. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe wird regelmäßig in kleiner Runde über aktuelle, wenn auch nicht tagesaktuelle Entwicklungen und Probleme in Politik, Gesellschaft und Kultur diskutiert.
Nach dem Politikwissenschaftler Prof. Bodo Zeuner von der FU Berlin (zum Thema Gewerkschaften und Rechtsextremismus) sorgte diesmal mit Heike Fritzsche vom Antidiskrimierungsbüro (ADB) aus Leipzig wieder eine Praktikerin für den fachlichen Input. Sie erklärte, dass mit diesem Gesetz im Prinzip nur zivilisatorische Mindeststandards sichergestellt werden. Konkret soll das AGG verhindern, dass Menschen aufgrund ihrer Rasse oder Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität wegen benachteiligt werden. Vor allem im Arbeitsleben, aber auch in Teilen des Geschäftsverkehrs. In einigen Ländern wie Australien, den Niederlanden oder Schweden gelten derartige Gesetze bereits seit vielen Jahren. Nach dem Regierungsantritt der rechtspopulistischen FPÖ (als Juniorpartner der ÖVP) in Österreich hatten die Mitglieder der Europäischen Union im Jahr 2000 mehrere Richtlinien verabschiedet, die mit dem AGG nun auch in deutsches Recht umgesetzt wurden. Dabei schrammte Deutschland aufgrund der verzögerten Umsetzung nur knapp an Strafzahlungen vorbei. Für die 2004 neu aufgenommenen EU-Länder sei das Vorhandensein eines Antidiskriminierungsgesetzes dagegen zur Aufnahmebedingung gemacht worden.
„Aber das ist nur ein Gesetz. Wenn es nicht mit Leben erfüllt und genutzt wird, dann verpufft es einfach“, warnte die Expertin. Genau diesen politischen Willen vermisse sie derzeit in Deutschland. Das habe auch damit zu tun, dass das Antidiskriminierungsgesetz vor allem als (rot-)grünes Projekt galt und später in der schwarz-roten Koalition zum Spielball politischer Interessen wurde. Auch deshalb der neue Name. Dadurch sei leider viel von der erhofften gesellschaftlichen Signalwirkung verloren gegangen. Statt dessen hätten in der öffentlichen Debatte Klagen der Unternehmerverbände über zusätzliche Kosten und Bürokratie dominiert – obwohl derartige Kritik größtenteils völlig aus der Luft gegriffen sei.
Nur mit Klagen, die durch das neue Gesetz möglich sind, lassen sich Ungleichbehandlungen kaum verhindern. Dazu sei die Klagekultur in Deutschland auch viel zu wenig ausgeprägt. Statt dessen komme es darauf an, Antidiskriminierung als Querschnittsaufgabe der Gesellschaft und Teil der Alltagskultur zu verankern. So könne beispielsweise eine Stadtverwaltung darauf achten, dass die Zahl der bei ihr beschäftigten Migrantinnen und Migranten ihren Anteil an der Bevölkerung widerspiegeln. In ihrem Einflussbereich müsse die Verwaltung ebenfalls auf die Einhaltung der Antidiskrimierungsregeln drängen – beispielsweise bei der Vermietungspraxis kommunaler Wohnungsgesellschaften. Nicht zuletzt müssten Betroffene überhaupt erst mal über ihre neuen Rechte informiert werden. Die Bundesregierung ist jedoch gerade erst dabei, eine viel zu kleine und kaum mit eigenen Kompetenzen ausgestattete zentrale Antidiskrimierungsstelle einzurichten. Erforderlich seien viel mehr solcher Beratungsstellen, forderte Fritzsche, am besten sogar in jeder größeren Stadt. Das ADB als unabhängiger Verein agiert derzeit lediglich auf ehrenamtlicher Basis, die Referentinnen werden teilweise über ABM-Strellen finanziert.
Wie gehabt nahm die Diskussion mit dem Publikum einen großen Teil der Lounge-Zeit ein. So steuerte beispielsweise Heike Freudenberg Erfahrungen aus ihrer Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte des Muldentalkreises bei. Wie Heike Fritzsche bemängelte sie die mangelhaften Kompetenzen, mit denen die vorhandenen Beauftragten ausgestattet sind. Nötig wäre auch eine stärkere Vernetzung derartiger Stellen, wünschte sich die Gleichstellungsbeauftragte: „Deshalb bin ich sehr froh, Sie hier kennengelernt zu haben.“ Nach dem offiziellen Teil ging der Abend wie gewohnt in lockerer Runde weiter.
Die „Muldental-Lounge“ selbst geht im November in die nächste Runde. Gast ist dann Professor Michael Opielka von der Fachhochschule Jena, der zum Thema (bedingungsloses) Grundeinkommen sprechen wird. Interessenten für diese Veranstaltung können sich gern beim NDK anmelden.
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